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Kaufberatung für Hochgeschwindigkeits­kameras

Anforderungskatalog

Airbag
Airbag: bereits nach 30 Millisekunden aufgeblasen

Da kauft man einfach eine Kamera mit X Millionen Bildern pro Sekunde und alles ist geritzt...
Tja, nur hat jede Anwendung andere Anforderungen. Es ist nicht nur ein Kostenthema, es betrifft auch das Zubehör (z.B. die Beleuchtung), die Erfahrung, den Versuchsaufbau und so weiter. So gibt es eine kostspielige Schere zwischen Auflösung, Aufnahmerate und Aufnahmedauer.

Das Bild rechts zeigt als Beispiel wie binnen 30 Millisekunden ein Airbag aufgeblasen wird. Der menschliche Lidschlussreflex liegt dagegen bei ca. 200 bis 250 Millisekunden.
So macht es keinerlei Sinn menschliche Bewegungen mit viel mehr als 1 000 Bilder/sek (oder gar 100 000 Bilder/sek) aufzunehmen. Und selbst ein Auto mit 50 km/h bewegt sich nur fingerbreit von Bild zu Bild. Der Bewegungseindruck geht völlig verloren und Sie würden beim Abspielen einschlafen.
Oder, um es mit Douglas R. Hofstadters Zeno zu sagen: »Bewegung unexistiert« (aus Gödel, Escher, Bach: ein endlos geflochtenes Band).

 

Aufnahmegeschwindigkeit ist nicht alles

Denn es macht keinen Sinn einige wenige zehn Bilder in ultrakurzer Zeit von einem Ablauf zu schießen, der eine Sekunde dauert. Man würde den kompletten Ablauf nicht erwischen und die Auflösung kann zu gering sein, um strukturelle Details abzubilden. Dazu kommt, dass eine zu extreme Zeitlupe die Bewegungsstudie zu einer langweiligen Angelegenheitwerden lässt, da der Bewegungseindruck auf der Strecke bleibt. So sind viele Sequenzen in Tierfilmen mit maximal wenigen hundert Bilder/sek aufgenommen (bzw. entsprechend in Zeitlupe abgespielt), auch wenn der Sprecher erzählt Kameras mit mehreren tausend Bilder/sek seien eingesetzt worden. (Natürlich spielt hier auch der Beleuchtungsbedarf eine entscheidende Rolle.)

Geschwindigkeitsdiagramm
Einige ausgewählte Geschwindigkeiten im Vergleich

Das Bild links soll anhand einiger ausgewählter Geschwindigkeiten ein Gefühl vermitteln, was sich in einer Millisekunde ereignet bzw. was sich hinter der Angabe Meter pro Sekunde verbirgt.
1 km/h = 3,6 m/s; 1 m/s = 0,2778 km/h; Mach 1 = Schallgeschwindigkeit (in Luft auf Meereshöhe)

Und wenn man eine ultraschnelle Kamera einbremst? Gut, aber warum eine Kamera mit teuren Eigenschaften kaufen, die man nie ausnutzen wird, oder die gerade wegen ihrer Geschwindigkeit an anderen Stellen ihre Einschränkungen hat, z.B. bei der Auflösung, wenn es Kameras gibt, die dem Anforderungsprofil viel besser entsprechen? Eine Million Bilder pro Sekunde gibt es nicht umsonst.
Denn solange man keine wirklich außergewöhnlichen Ansprüche hat und nicht zu bescheiden bei den Leistungsdaten ist, kann man durchaus mit einem normalen professionellen Gerät allein glücklich werden. Konkret (weil ich öfters gefragt werde): Für € 20 000,- ± 5 000,- bekommt man ein solides Universalsystem mit ca. ein Megapixel Auflösung bei 1 000 Bilder/sek inklusive Zubehör (Notebook inkl. Software, Objektive, Scheinwerfer, Stativ) und ist für eine Vielzahl von Anwendungen gewappnet. (Wenn Sie mit dem Smartphone auf den Geschmack gekommen sind. ;-)

Wie einsteigen? - So viel ist zu beachten!

Das stimmt schon soweit. Im Gegensatz zu vor ein paar Jahren tummeln sich in der Zwischenzeit viele Anbieter im Hochgeschwindigkeits­kameramarkt, oder was sie einem als solchen verkaufen wollen.
Warum nicht einfach den Spieß umdrehen und sich rein von den Anforderungen der Anwendung bei der Kameraauswahl leiten lassen? Das teuerste, das schnellste oder das Kamerasystem mit den meisten Pixel ist nicht unbedingt das am besten geeignete. Oft ist es auf Spezialanwendungen zugeschnitten und braucht das entsprechende Drumherum (Beleuchtung, Steuerung, Ausrüstung ...) und Anwenderwissen.
Diese Seiten hier sollen dabei etwas Licht ins Dunkel bringen, Zusammenhänge aufzeigen und grundlegende Eigenschaften erklären - somit eine Art kleine Kaufberatung für echte Hochgeschwindigkeits­kameras bieten. Ein kleiner Kurs also in Sachen Geschwindigkeit, Aufnahmefrequenz, Auflösung, Beleuchtung, Bildqualität und Daten.

Einsatzprofile und Leistungsdaten Unterhaltungs­elektronik (Industrielle) Bild­verarbeitung (Biologische) Bewegungs­analyse Forschung und Entwicklung Film und Fernsehen
Auflösung HD (1280x720) und Reduktionsstufen auch Zeilensensoren; VGA (640x480) bis HD (1280x720) VGA (640x480) bis über HD (1280x1024) unter VGA (640x480) über HD (1280x1024) bis 4k (Full) HD bis üüber 4k
Aufnahmerate ~ 120 Bilder/sek (bis 1 000 Bilder/sek; Auflösungs­reduktion!) bis 500 Bilder/sek 250 bis 600 Bilder/sek 1000 bis über 1 Million Bilder/sek bis ca. 500 Bilder/sek
Sensorhersteller Multimedia OEMs Multimedia OEMs Elektronik OEMs Eigen-/Auftrags­entwicklung Elektronik OEMs, Eigen-/Auftrags­entwicklung
Kamerahersteller Multimedia OEMs Multimedia OEMs, Elektronik OEMs Systemhäuser Spezialhersteller Spezialhersteller
Material für Integration - Zukauf Zukauf Eigenproduktion Zukauf, Eigenproduktion
Preise ~ € 500,- bis 1 000,- ~ € 500,- bis 5 000,- ~ € 3 500,- bis 25 000,- ~ € 15 000,- bis >100 000,- ~ € 50 000,- bis >100 000,-


Leistung und Anwendungsfälle von Hochgeschwindigkeits­kameras im Überblick (OEM: original equipment manufacturer, dt.: Original-, Ersthersteller).

Die enorme Preisspanne, wie in obiger Tabelle gezeigt, rührt davon her, dass es sich einmal um Großseriengeräte der Unterhaltungselektronik oder Standard-Bildverarbeitungstechnik mit üblichen Datenraten handelt, während auf der anderen Seite hochwertigste wissenschaftliche Messgeräte mit Sondertechnik teilweise von Wissenschaftlern und Ingenieuren individuell entwickelt und aufgebaut werden.
Bereits seit etwa dem Jahr 2000 trennt sich die Spreu vom Weizen immer noch bei 1 000 Bilder/sek mit HD Auflösung.

Ein Zehn Punkte Plan zur eigenen Hochgeschwindigkeits­kamera

  1. Mit welcher zeitlichen Auflösung will ich aufnehmen - brummts, sausts oder flitzts? Die Objektgeschwindigkeit in der Bildebene bzw. die gewünscht zeitliche Auflösung liefern Anhaltspunkte für die benötigte Aufnahmefrequenz: Wie viele Fotos pro Sekunde werden benötigt? Wie viel Bewegung während der Belichtungszeit und speziell zwischen den Aufnahmen ist tolerierbar?
    Einige empfohlene bzw. typische Aufnahmefrequenzen (engl.: frames per second, fps; dt.: Bilder pro Sekunde): Analyse menschlicher Bewegungen und Spezialeffekte ca. 100 bis 250 fps, sehr schnelle Sportarten und industrielle Einstellarbeiten ca. 500 bis 1 000 fps, Auto Crashtest ca. 1 000 bis 3 000 fps, Airbag Tests ca. 3 000 bis 5 000 fps, Bruchvorgänge, Faustfeuerwaffen und Raketenflug bis ca. 10 000 fps, Explosionen, (Blitz-) Entladungen und Gewehrkugeln ca. 10 000 bis 100 000 fps, Granaten und Einschläge 100 000 bis 500 000 fps, chemische und physikalische Reaktionsforschung ca. 100 000 bis 1 000 000 fps und darüber.

  2. Welche bildliche Auflösung brauche ich - wie groß ist die Maus auf dem Stadion Rasen? Die räumliche Auflösung bzw. die Größe der aufzunehmenden Szenerie beeinflusst die Objektivwahl (Blickfeld) und dann erst die Sensorauflösung (Pixelzahl). Beachten Sie die mögliche Abhängigkeit der Auflösung von der Aufnahmefrequenz. Mit der Sensorauflösung sind teure Technologiesprünge verknüpft.
    Einige vorgeschlagene Pixel Auflösungen: industrielle Einstellarbeiten und Ganganalyse ca. 512 x 512 oder 640 x 480 (VGA, PAL, NTSC) und weniger, Automotive ca. 1000 x 1000, Special Effects 1280 x 720 (HDTV) und Full HD 1920 x 1080 (16:9) oder besser, bis zur Digital Cinema Auflösung 2048 x 1080 und darüber (3D).
    Selbst niedrige Auflösungen, z.B. 256 x 256 und sogar darunter, können Ergebnisse mit ausreichender Qualität für industrielle Anwendungen liefern, soweit echte Schwarz/Weiß Kameras eingesetzt werden. Schauen Sie sich einfach einmal die Beispielsequenzen in [SloMo Clips] an. Eine hohe Auflösung wird dann interessant, wenn man den Aufnahmebereich mit weniger Kameras abdecken kann.

  3. Wie groß ist der Speicherbedarf - Kurzfilm oder Spielfilm? Die Aufzeichnungsdauer ist ein stark Kosten treibender Faktor. Die Nutzung intelligenter Triggermöglichkeiten führt zur Aufwandsreduzierung - frei nach Otto Waalkes »Je kürzer das Ssst, desto schneller das Bumms!« Meistens genügen ein paar wenige Sekunden. Es muss nicht immer ein großer Langzeitrekorder mit stundenlanger Aufnahmedauer oder ein teures Technikmonster mit X-Millionen Bilder pro Sekunde sein.

  4. Was wird an Datenaufbereitung benötigt - im Archiv ruhts gut oder Seriendreh? Speichern, Nachbearbeitung bzw. Bildverarbeitungswünsche bewirken Anforderungen an Technologie, Bildqualität (HDTV, Film?), Zugriff (Speicherzeit!) und Archivierungsmöglichkeiten (Speicherkarte, LAN + RAID, Thunderbolt ...).
    Das Speichern (Download aus dem Kameraspeicher) kann allein wegen der Datenmenge durchaus auf den ersten Blick überraschend viel Zeit beanspruchen oder wegen der leistungsfähigen Schnittstellen und Medien teuer werden.

  5. Wie sieht es mit der Ausleuchtung aus - Fledermäuse mitten in der Nacht? Licht ist ein kostbares Gut, da die Belichtungszeit oft kurz ist. Beispielsweise bedeutet 1 000 Bilder/sek., dass pro Bild nicht mehr als 1/1 000 Sekunde Belichtungszeit zur Verfügung steht - wenn überhaupt.
    Speziell bei Außenanwendungen (Tiefenschärfe, Bewölkung!) und ballistischen Aufnahmen (verkürzte Belichtungszeit durch den Verschluss, engl.: shutter, um Bewegungsunschärfe zu reduzieren) ist die Lichtempfindlichkeit ein sehr wichtiges Kriterium. Echt monocolor wäre eine Option!

  6. Extras - darfs ein bisschen mehr sein? Optionen (erhöhte Schockfestigkeit, erweiterter Temperaturbereich ...) und Zubehör (Taktgeber zur Synchronisierung, Spezialbeleuchtungen, ...) können den Preis erheblich treiben. Allerdings hat man an einer Hochgeschwindigkeits­kamera aus dem Unterhaltungselektronikbereich oder einem Smartphone in rauer Industrieumgebung auch keine Freude.

  7. Konnektivität - bin ich drin? Vergessen Sie nicht die Integration in Ihre Umgebung und Systeme (SPS und IT Einbindung), die Steuersoftware (angepasst, stabil, leicht zu bedienen?) und Spezialzubehör (automatische Sonderobjektive, Steuergeräte ...) zu prüfen.
    Irgendwoher muss ja das (passende!) Triggersignal und eventuell andere Steuersignale herkommen und eventuell generierte Steuersignale (strobe out, engl. für aktiver Bildeinzug, all armed, engl. für Aufnahmebereitschaft ...) und Bilddaten auch hingeschickt werden.

  8. Handarbeit - mit Liebe? Und noch aus der Praxis: Achten Sie auf passende und geeignete (robuste) Gehäuse, Steckverbinder und Kabel. Überlegen Sie, wie oft sich wohl ein RJ45 Patchkabel von ungeübter Hand stecken lassen wird. Und wie viele Steckzyklen ein Anschluss aus der Unterhaltungselektronik mitmacht. Auch Wischen in jeder Lebenslage, z.B. mit Öl verschmierten Hände, tut einem Bildschirm auch nicht gut

  9. Nachhaltigkeit - aus und vorbei? Prüfen Sie, ob das System bezüglich Nachrüstung, Austausch, Service und Wartung sowie Reparatur modular ist. Die Technologie- und Produktzyklen sind allerdings erfreulicherweise nicht so kurz wie im Rechnergeschäft. Manchmal kann man das Gerät sogar zurück geben und gegen ein neueres Modell tauschen.

  10. Knapp bei Kasse - ohne Moos nix los? Versuchen Sie eine Demo zu erhalten und denken Sie über einen Mietservice nach. Das kann den Einstieg vereinfachen, die Kosten reduzieren und Erfahrungen liefern. Speziell bei trickreichen Aufnahmesituationen. Fragen Sie zur Kostenreduktion beim Hersteller auch nach Miet-, Gebraucht- und Demogeräten. Ist wahrscheinlich besser als selber bauen oder irgendwo gebraucht zu kaufen.

 

Die [TOUR] zeigt noch ein paar Sensor Informationen sowie Tipps und Tricks zur Aufnahmetechnik.